Von CentOS zu Oracle?

CentOS ist seit Ende Oktober 2019 nicht mehr in der Lage, Updates für CentOS 8 zur Verfügung zu stellen (siehe CentOS 8: Sechs Wochen ohne Updates). Von CentOS 8.1 ist keine Spur, auf der Statusseite ist kein Fortschritt zu erkennen.

Fast noch befremdlicher: Es scheint niemanden zu stören. Google-Suchen nach centos 8 updates missing oder centos 8 no updates liefern kaum relevante Ergebnisse. Weder auf den CentOS-Mailing-Listen noch im CentOS-Forum ist das mehrwöchige Ausbleiben von Updates ein Thema. Ist CentOS 8 ganz einfach noch nicht bei den Anwendern angekommen? Oder ist es tot und nur ich habe es nicht bemerkt?

Kostenlose Alternativen zu RHEL 8 gibt es nicht viele. Scientific Linux wird nur noch für Version 7 gepflegt, eine Version 8 wird es nicht geben. Damit bleibt eigentlich nur Oracle. Die Firma bietet ihren Red-Hat-Klon unter dem Namen »Oracle Linux« sowohl kostenlos als auch kommerziell an. Zahlende Kunden erhalten Support und Zugang zu Kernel-Live-Patches.

Oracle Linux

Oracle Linux ist zwar kostenlos verfügbar, Oracle macht den Download der Installationsdateien aber nicht besonders leicht: Zuerst müssen Sie sich einen (kostenlosen) Oracle-Account einrichten. Nach dem Login können Sie auf der Oracle Software Delivery Cloud anmelden. Dort suchen Sie nach Oracle Linux und geben die Version 8.1 in eine Art Einkaufswagen. (Keine Angst, Sie müssen beim Check-Out nichts bezahlen.)

Etwas umständliche Suche nach dem Oracle-Linux-Download-Dateien

Im Checkout bestätigen Sie die Auswahl, wobei Sie sich von der Größe von fast 20 GByte nicht beeindrucken lassen. Sie müssen nun die Oracle Standard Terms and Restrictions, die durchaus irritierend von einer 30-tägigen Testzeit sprechen. Laut Oracle Blog ist die Nutzung von Oracle Linux nämlich ohne Restriktionen kostenlos und keineswegs auf einen Testzeitraum limitiert. Im nächsten Schritt können Sie endlich angeben, dass Sie nur das ISO-Image herunterladen wollen. Wäre das nicht einfacher gegangen?

Auswahl der tatsächlich herunterzuadenden Dateien

Update: In der Tat geht es einfacher, man nehme einen Mirror, z.B. https://mirror.netcologne.de/oracle-linux/OL8/u1/x86_64/. Danke an alle, die die Kommentarfunktion nutzen!

Ist die Download-Hürde einmal genommen, verläuft die Installation exakt gleich wie bei CentOS 8 (und einfacher als beim Original, weil keine Red-Hat-Subskriptionsdaten angegeben werden müssen).

Oracle Linux installieren

Anders als CentOS hat Oracle den Produktionsprozess im Griff. Oracle Linux 8.1 wurde nur 10 Tage nach RHEL 8.1 freigegeben. Auch die Update-Versorgung klappt vorbildlich: Das am 18.12.2019 von Red Hat veröffentlichte systemd-Update war keine 24 Stunden später bereits in Oracle Linux verfügbar.

Oracle Linux Desktop

Bei meinem eher kurzen Test traten weder Auffälligkeiten noch Probleme auf. Das Einrichten der EPEL-Paketquelle gelang auf Anhieb mit dem folgenden Kommando:

yum install https://dl.fedoraproject.org/pub/epel/epel-release-latest-8.noarch.rpm

Versionsnummern

Basis             Desktop             Programmierung   Server
---------------   ------------------  --------------   --------------
Kernel     4.18   Gnome        3.28   bash       4.4   Apache     2.4
glibc      2.28   Firefox ESR    68   gcc        8.3   CUPS       2.2
X-Server   1.20   Gimp          2.8   Java      8/11   MariaDB   10.3
Wayland    1.15   LibreOffice   6.0   PHP        7.2   MySQL      8.0
Mesa       19.1   Thunderbird    68   Python 2.7/3.6   OpenSSH    8.0
systemd     239                                        qemu/KVM  2.12
NetworkMan 1.20                                        Postfix    3.3
GRUB       2.02                                        Samba     4.10

Was gegen Oracle spricht

Oracle ist im Datenbank-Sektor die weltweit führende Firma, das bestreite ich nicht. Im Open-Source-Segment glänzt Oracle nicht so strahlend. Diverse durch Aufkäufe zugeführte Open-Source-Projekte haben ihren Popularitäts-Zenit überschritten, zum Teil sind Forks populärer als das Orignal.

  • Java: Geänderte Lizenzbedingungen und halbjährliche Updates erschweren den Einsatz im Unterricht und in nicht-kommerziellen Projekten. Java EE ist in der Krise, Java am Desktop (JavaFX) mausetot. Google setzt für die App-Entwicklung mittlerweile voll auf Kotlin. Als erste Programmiersprache gewinnt Python an Popularität.

  • OpenOffice hat jede Bedeutung verloren, die Alternative heißt LibreOffice.

  • MySQL: Unstimmigkeiten beim Zugang auf Sicherheits-Updates haben den Linux-Distributoren jahrelang das Leben schwer gemacht und MariaDB enorm zu Popularität verholfen.

Die wohl wichtigste positive Ausnahme ist VirtualBox: Das Virtualisierungssystem ist trotz der Oracle-Übernahme auf allen Plattformen (Windows, macOS und Linux) populärer denn je, wird aktiv und sehr regelmäßig weiterentwickelt und ist auch im Open-Source-Umfeld beliebt.

Fazit: Alles in allem gelingt es mir nicht, Oracle als Open-Source-Vorzeigeunternehmen wahrzunehmen. Und entsprechend schwer fällt es mir, bei der Installation eines neuen Servers (wo ich mich in der Regel auf viele Jahre festlege) gerade auf Oracle zu setzen. Wenn Red-Hat-Kompatibilität kein Muss ist, erscheint mir Ubuntu LTS oder Debian trotz deutlich kürzerer Wartungszeiten die sicherere Alternative zu sein. Was CentOS betrifft, heißt es wohl: Abwarten und Tee trinken. Vielleicht sind die aktuellen Probleme nur vorübergehend und das Projekt gewinnt wieder an Fahrt. (CentOS 7 ist von den Update-Problemen übrigens nicht betroffen.)

Quellen

7 Gedanken zu „Von CentOS zu Oracle?“

  1. Hallo
    ähnliche Überlegungen hatte ich auch.
    Allerdings tendiere ich eher Richtung Fedora.

    Wäre das, aus Deiner Sicht, eine Alternative?

    1. nein. Fedora ist super, aber nicht für den Server-Einsatz. Da will ich eine Distribution, für die ich jahrelang Updates bekomme.

  2. Also was ich weiß, ist das CentOS momentan noch große Problem mit dem generieren der Pakete für CentOS 8 hat.
    Ähnliches war es am Anfang von CentOS 7 auch schon so nur nicht ganz so schlimm wie jetzt.
    Durch die relativ große Änderungen mit dem Appstream Ergebiet sich da aber wirklich auch viel neues.
    Wir evaluieren CentOS 8 gerade erst und werden es sich nicht von 8.2 oder sogar 8.3 Produktiv einsetzen.
    Und ich denke bis dahin ist das build system auch angepasst und die Generierung der Pakete läuft wieder normal.
    Also ich werde mir erst mal keine Gedanken machen was alternativen angeht.
    Und Oracle ist für mich sowieso keine.
    Dann lieber der wechsel zu einer ganz anderen Distro.

  3. Ich verwende CentOS seit Version 4.x, und seit 2017 läuft es auf allen meinen Servern. (Am Desktop benutze ich seit ca. eineinhalb Jahren ausschließlich OpenSUSE Leap KDE).

    Hauptkommunikationsmedium für CentOS ist die Mailing List centos@centos.org. Der Umgangston dort is sachlich und oft sehr kompetent, das CentOS-Team liest regelmäßig mit, und mir ist es mehr als einmal passiert, daß CentOS-Gründer Johnny Hughes höchstpersönlich auf technische Anfragen geduldig und detailliert geantwortet hat.

    Ich würde an deiner Stelle eine Anfrage an diese Liste schicken, und da erhältst du dann sicher eine Antwort. An deiner Stelle würde ich mich dort auch gleich als Linux-Buchautor outen.

    Liebe Grüße aus dem weihnachtlich blockierten Paris. :o)

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