Mit Gnome 40, dem Nachfolger von Gnome 3.38, ändert sich nicht nur die Versionsnummer. Das Gnome-Projekt hat bei der Gelegenheit auch gleich eine Menge Neuerungen am Desktop durchgeführt. Soviel vorweg: Die Optik ist großartig! (Der Eindruck wird durch den wunderschönen Fedora-34-Hintergrund noch verstärkt.)
Genaugenommen sind die Neuerungen in Version 40 gar nicht so spektakulär:
- Das Dock wandert von der linken Seite nach unten — also dorthin, wo es sich auch unter Windows, macOS und am iPad befindet.
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Wenn es mehrere virtuelle Bildschirme (Workspaces) gibt, werden diese nebeneinander angeordnet (nicht mehr untereinander). Diesbezüglich steht wohl macOS Pate.
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Auf einem Touchpad können Sie mit drei Fingern zwischen den Workspaces wechseln bzw. die Aktivitäten-Ansicht ein- oder ausblenden (wie in macOS). Noch schneller gelingt der Workspace-Wechsel mit dem Mausrad. Die selben Aufgaben erledigen schließlich die Tastenkombinationen Windows+Alt+Cursor links/rechts/oben/unten.
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In der Grid-Ansicht können die installierten Programme (»Apps«) mühelos neu angeordnet oder in Gruppen zusammengefasst werden (wie auf vielen Tablets).
Grundsätzlich sind all diese Neuerungen durchdacht und vernünftig. Unverändert bleibt übrigens die Dock-Sichtbarkeit: Das Dock wird nur angezeigt, wenn Sie Aktivitäten anklicken oder die Windows-Taste drücken.
Wir wissen, was gut für dich ist!
Vermutlich liegt es in der Natur des Menschens, auf Änderungen zuerst einmal mit Skepsis und Widerwillen zu reagieren. Und vielleicht ist dieser Blog-Artikel einfach nur ein Ausdruck dieser Änderungs-Resistenz?
Mein Problem mit Gnome 40 ist (wie schon mit früheren Gnome-Versionen) die fehlende Wahlmöglichkeit. Mein Notebook ist sicher zu 90% der Nutzungszeit mit einem 28-Zoll-Monitor verbunden. Dieser bietet genug Platz, um das Dock ständig anzuzeigen und ICH WILL ES SO. Außerdem wünsche ich mir das Dock auf der linken Seite. Ubuntu ist per Default so konfiguriert, und bei anderen Distributionen installiere ich eben die Erweiterung Dash to Dock. In Gnome 40 bleibt dieser Ausweg verschlossen — Dash to Dock und Gnome 40 sind vorerst inkompatibel zueinander.
Windows und macOS verhalten sich per Default ähnlich wie Gnome. ABER: Beide Betriebssysteme geben mir die Freiheit, das Dock mit wenigen Mausklicks so zu konfigurieren, wie ich es haben will. Nur Gnome nicht. Die Gnome-Entwickler wissen, was gut für mich ist, da braucht es keine Wahlmöglichkeit. (Update September 2021: Gnome ist jetzt in guter Gesellschaft. Windows 11 erlaubt ebenfalls nur noch eine horizontale Taskleiste.)
Ich bin nicht vor mehr als 25 Jahren zu Linux gewechselt, damit mir Gnome vorschreibt, wie ich meinen Desktop organisieren soll. (Den Einwand, ich hätte ja mit KDE, XFCE usw. reichlich Auswahl, lasse ich hier nicht gelten. Ich bin mit Gnome weitestgehend zufrieden. Ich betrachte es als das beste, ausgereifteste Desktop-System, das Linux aktuell bietet, auf jeden Fall als den besten Kompromiss. Was nützt mir ein anderes Desktop-System, das mir mehr Dock-Flexibilität gibt, aber das dafür sonst voller Fehler und Mängel ist?)
Was mein Dock-Problem betrifft, kann ich natürlich darauf warten, bis Dash to Dock eine Gnome-40-kompatible Version ihrer großartigen Shell Extension fertigstellt. Oder bis es eine Alternative dazu gibt. (Meine aktuelle Notlösung ist Floating Dock.) Zur Not könnte ich versuchen, selbst eine geeignete Shell Extension zu programmieren — aber ich gebe zu, dazu fehlt mir die Zeit und das JavaScript-Know-how.
Warum sind Shell Extensions überhaupt notwendig, um vollkommen elementare Grundfunktionen zu realisieren? Funktionen, die gefühlt jedes Desktop-System selbstverständlich anbietet, nur nicht Gnome? Shell Extensions sind aus meiner Sicht eher Hacks als Lösungen. Jedes Gnome-Update führt zu neuen Problemen und Inkompatibilitäten. Viele Extensions haben nur eine recht kurze Lebensdauer, bis sich ihre Entwickler neuen Zielen zuwenden.
Und weil ich schon im Mecker-Modus bin: Wie wäre es, die Module des Programms Einstellungen alphabetisch zu ordnen? Ich kann in der vorliegenden Ordnung keine wie auch immer geartete Logik erkennen. Letztlich scrolle ich immer wieder von oben nach unten, bis ich die Audio-Einstellungen dann finde. (Tipp: Sie sind irgendwo in der Mitte, zwischen Freigabe-Einstellungen und Energiespar-Optionen …) Insofern wäre alphabetisch immer noch besser als gar keine Ordnung.
Und noch ein Punkt für die Gnome-Wunschliste: Warum kann Gnome Fenster nicht unkompliziert in Bildschirm-Vierteln anzuordnen? Nein, Bildschirm-Hälften sind auf einem großen Monitor zu wenig. Ja, ich weiß, die Lösung heißt Windows. Das ist ein Satz, den ich normalerweise nicht ausspreche/schreibe … (Oder es muss wieder eine Shell Extension her: Ich kann z.B. den Tiling Assistant empfehlen.)
Die Konsequenzen
Natürlich kann niemand kann den Gnome-Entwicklern vorschreiben, in welche Richtung sie ihr Projekt weiterentwickeln (siehe auch diesen lesenswerten Gnome-Blog-Post). Aber die oft überraschenden, eigenwilligen Design-Entscheidungen irritieren nicht mich alleine. Sie führen dazu, dass Ubuntu das Gnome-40-Update vorerst nicht mitmacht, dass jetzt auch Pop!OS den Desktop neu erfinden will, dass es mit Elementary, Cinnamon, Mate sowieso schon ein Dutzend Varianten gibt, die in Wirklichkeit (fast) keiner haben will. Deren Daseinsberechtigung sich durch einige Details ergibt, die sich außerhalb des Gnome-Universums offenbar einfacher realisieren lassen als innerhalb. Die in einem sinnlosen Ausmaß Entwickler-Ressourcen binden. Die nicht fertig werden. Zu denen es schon bald keine Updates mehr geben wird.
Linux braucht Standards, um erfolgreich zu sein. Nicht alle wollen es wahr haben, aber Gnome ist dieser Standard im Desktop-Bereich. Natürlich gibt es Alternativen, aber die meisten Linux-Einsteiger beginnt mit Gnome. Firmen setzen auf Gnome und lassen Alternativen oft gar nicht zu.
Hinzu kommt: Gnome ist prinzipiell eine ausgezeichnete Desktop-Umgebung. Ich bin sogar mit dem Gnome-Konzept »Weniger ist mehr« einverstanden. Ich verstehe die Logik: Weniger Optionen sind übersichtlicher, einfacher zu bedienen, besser wartbar. Ich vertrete dieses Motto in Projekten, an denen ich arbeite, selbst.
Aber ich finde, Gnome übertreibt. Es gäbe sicherlich weniger Fragmentierung im Desktop-Bereich, wenn Gnome ein wenig mehr Flexibilität bieten könnte. Der Ansatz One size fits all funktioniert einfach nicht. Es braucht nicht für jede Option 1000 Einstellmöglichkeiten (-> KDE). Dennoch kann man den Anwendern ein paar Einstellmöglichkeiten lassen. Den Status Quo empfinde ich und empfinden offenbar auch andere als eine Bevormundung, die verärgert, frustriert und dazu führt, dass es unter Linux mehr Desktop-Systeme als Mail-Programme gibt.
Oder, neue Argumentationslinie: Gnome bietet seinen Nutzern mehr Audio-Optionen als Optionen, die die Gestaltung des Desktops betreffen. (Genaugenommen gibt es ja nur eine Option: Über das Hintergrundbild dürfen Sie vorerst noch selbst verfügen …) Es gibt mehr als ein Dutzend Optionen zur Barierrefreiheit. Die Benachrichtigungen können bis ins letzte Detail gesteuert werden. (Alle diese Optionen dürfen bleiben, nicht dass mir das jemand falsch auslegt …) Aber angesichts der Anzahl von Optionen in Randbereichen des Desktops wäre ein Dialogblatt »Desktop-Einstellungen« mit vier, fünf Optionen auch noch vertretbar. Es würde auch den Wartungsaufwand nicht sofort ins Unendliche wachsen lassen.
Schlusswort
Ich bin dankbar, dass es Linux gibt, dass es Gnome gibt. Ich bin jeder Entwicklerin, jedem Entwickler dankbar, die/der auf ihre/seine Weise das Open-Source-Universum vergrößert, an Projekten mitarbeitet, Gnome noch perfekter macht. Dieser Blog-Beitrag soll kein Zeichen meiner Undankbarkeit sein, er soll keinen Flame War auslösen.
Alles, was ich mir wünsche, ist ein Gnome, das noch ein kleines bisschen besser ist als bisher. Das seinen Anwendern ein klein wenig mehr Flexibilität bietet. Das mehr als nur ein Anwendungs-Szenario vorsieht (in etwa: kleiner/großer Monitor; Einsteiger/Entwickler) . Ich bitte nicht um unzählige neue Optionen, sondern um einige wenige. Und es wäre schön, wenn man die ohne Extensions oder Gnome Tweaks direkt in den Einstellungen verändern könnte. Ein guter Startpunkt wäre:
- Dock: links/rechts/unten
- Dock automatisch ausblenden: ja/nein
- Fenster-Minimieren-Button anzeigen: ja/nein
Wenn ich total unverschämt sein darf, auch noch:
- Fenster-Buttons: links/rechts
Das würde macOS- und Windows-Umsteigern gleichermaßen entgegen kommen.
PS: Noch eine Anmerkung zu Pop!_OS: System76 verspricht in seinem Blog den neuen Cosmic-Desktop, der mit Version 21.04 im Juni ausgeliefert werden soll. Laut ersten Tests einer Beta-Version (YouTube-Video) handelt es sich dabei ganz einfach um Gnome 3.38, das um diverse Shell Extensions erweitert wurde (inklusive einer Menge neuer Optionen im Einstellungsdialog). Im Prinzip ist das der gleiche Ansatz wie bei Ubuntu, aber mit mehr Änderungen. Und auch die Probleme sind die gleichen: Was tun, wenn die neue Gnome-Version inkompatibel zu den eigenen Extensions ist?
Guter Artikel …
Und bitte eine Möglichkeit, nach dem Login nicht direkt die Aktivitätenübersicht angezeigt zu bekommen.
Schaut man sich ein paar Bugreports/Feature Requests an, scheine ich nicht der einzige zu sein, der Programme im Autostart hat und diese direkt nutzen möchte. In meinem Fall Terminator (Terminal(s)) auf Monitor 1 und ein Browser (Mail, Kalender etc. in Tabs) auf Monitor 2.
Ja, es ist nur ein Klick/Tastendruck, dafür nervig.
Ich finde bei dem Dock kann man gut erkennen wo die Reise hingehen soll, GNOME schreint sich damit auch für mobile Geräte weiter vorbereiten zu wollen und wird immer mehr responsive. Ich denke die Dockposition einstellbar zu machen würde sehr viel mehr Arbeit und testen bedeuten (sofern man diese Geräte dabei auch berücksichtigen will).
Durch die vielen teils sehr guten Extensions merkt man aber, dass im Quellcode durchaus Einstellungsmöglichkeiten berücksichtigt werden, mehr als man per Default über die GUI verfügbar macht, damit geben sie den Extensions diese Möglichkeit und ich finde sie gehen damit einen guten Mittelweg. Für das Dock werden bestimmt auch noch Erweiterungen nachziehen.
Ich mag das Grundprinzip von GNOME eigentlich auch. Mein Hauptproblem sind aber die fehlenden Systray-Icons. Es gibt immer noch genügend Programme, die ohne diese nicht (richtig) funktionieren. Entsprechende Extensions haben bei mir immer wieder Probleme gemacht. Das ist der Hauptgrund, warum ich noch bei KDE Plasma bleibe.
Ich habe Gnome40 auch ausprobiert und finde es sehr gelungen. Ich könnte mir sogar vorstellen es ganz so zu lassen wie es ist. Mein Wunsch an den Linux-Desktop war es bisher immer, das ich sowenig wie möglich daran basteln muss um produktiv zu werden. Bisher hat keines der Linux-Desktops das erfüllt. Im Gegenteil, vorher musste ich es immer anpassen. Die betonung liegt auf musste.
Das die Entscheidungen eines Projektes nicht immer und jedem passen, ist klar. Aber solange Alternativen wie Gnome Tweaks existieren, kann jeder sich sein System so einrichten wie er/sie es braucht. Und die Extension Dash-To-Dock kommt sicher wieder. Nur brauche ich es nicht.
MfG
Gnome ist schon immer ein bißchen wie Apple. Es gibt vergleichsweise wenig Konfigurationsmöglichkeiten. Das zieht sich durch die meisten Apps. Für typische Nutzer mag das wohl gehen, wenn man diese nicht mit x Möglichkeiten überfordert. Daher bin ich seit knapp 15 Jahren lieber ein KDE-Nutzer, auch wenn es hier so manche App auch übertreiben mag.
KDE ist übrigens ein sehr zugängliches System. Man ist nicht gezwungen, alle Einstellungen durchzuarbeiten, es gibt auch fertige „Sets“, die man anwenden kann. Gerade wenn man die Kontrollleisten entfernt und statt dessen Latte Dock verwendet, kann man jederzeit die „Profile“ wechseln. Wer nun Gnome, Unity, Windows oder Mac OS gewohnt war, bekommt seine Desktop-Anordnung, wie er möchte. Theoretisch kann KDE alle anderen Desktop Umgebungen in nahezu vollem Umfang abbilden.
Den Punkt mit der Fragmentierung kann ich nur unterschreiben. Wie oft liest man von einer „neuen“ Distribution, und am Ende merkt man, dass nur wenige Kleinigkeiten geändert wurden? Ich empfinde das nach wie vor als überflüssig. Im Kern wird sowieso eine andere Distribution als Basis verwendet, dann wäre es auch kein Akt, hier eine Art Konfigurationsscript zu schnitzen, welches im Nachgang die Änderungen vornimmt. Das wäre mir auch für die ganzen Ubuntu-Varianten lieber…
Hallo, Herr Kofler.
Sie treffen den Nagel direkt und unverblümt auf den Kopf.
Und ja: zu Gnome gibt es unter Linux keine wirkliche Alternative.
Ich habe die 40 ausprobiert. Nach wenigen Minuten hat man sich an die neuen Vorgaben von Gnome gewöhnt. Allerdings ist das Fehlen des Docks auf der linken Seite auch für mich nicht oder nur sehr schwer akzeptierbar.
PS: Fenster-Buttons links/rechts ist wirklich total unverschämt. 🧐🤣
Genau diese Gedanken kamen mir auch schon in den Sinn bevor ich diesen Artikel gelesen habe. Er trifft meiner Meinung nach den Nagel auf den Kopft. Sowas wie Dash-to-Dock und Gnome-Tweak sollte einfach zur Grundausstattung gehören.
Ich bevorzugte deshalb auch lange Zeit KDE Plasma, bis neuere Version leider erhebliche Instabilitäten auf meinen VMs mit sich brachten.
Gnome verfolgt schon immer ein sehr eigenwilliges Konzept. Durch entsprechende Extensions lässt es sich zwar nach eigenen Vorstellungen relativ gut anpassen, doch hinken eben diese bei Versionswechsel immer etwas hinterher. Besonders jetzt mit Versionssprung 40 macht sich das unschön bemerkbar. Liest man in sich durch die Foren, wird es klar, was viele Nutzer bei Gnome missen… Nicht jeder ist diesem Purismus angetan… Aber es ist das Gute bei Linux – ich kann auf Alternativen ausweichen: Ich bin jetzt vollends zum Budgie-Desktop (Ubuntu) gewechselt. Allein mit „Bordmitteln“ lässt sich dieser sehr gut anpassen und ist mittlerweile ausgereift.