EU versus eBooks: Alle Macht den Großen

An sich klingt es ja vernünftig: Ab 1.1.2015 werden die großen eBook-Anbieter (Amazon, Apple etc.) dazu gezwungen, bei eBook-Verkäufen die MWst gemäß den Regeln des Landes zu verrechnen, aus dem der Käufer kommt. Bisher hat Amazon den eBook-Verkauf einfach über eine Niederlassung in Luxemburg durchgeführt, wo eBooks nur mit 3% zu versteuern sind. Nunmehr gilt der MWst-Satz des Landes, also 19% für Käufer aus D, 20% für Käufer aus A etc.

Positiv an dieser Regelung ist, dass es nun etwas mehr Chancengleichheit zwischen großen internationalen Anbietern und zumeist kleineren Firmen gibt, die nicht mir-nichts-dir-nichts einen Firmenstandort in Luxemburg einrichten können.

ABER. Ein großes ABER. Die EU-Gesetzgeber haben in ihrem Regulierungswahn das Kind wieder mal mit dem Bad ausgeschüttet.

Das ist neu

Die neue Gesetzgebung gilt für diverse Arten elektronischer Dienstleistungen (Leser dieses Blogs wissen ja: Buch = Kulturgut, eBook = elektronische Dienstleistung …) und somit auch für das Angebot von Audio- und Video-Dateien, für diverse Telekommunikationsleistungen etc.

Und sie gilt für jeden Unternehmer, von riesigen Firmen wie Amazon oder T-Online bis hin zu winzigen Ein-Mann-Unternehmen.

Jede in der EU angebotene elektronische Dienstleistung ist (soweit ich es bis jetzt verstanden habe, ich bin natürlich kein Steuerberater …) wie folgt zu versteuern:

  • Verkauf im Inland: wie bisher nationale MWSt
  • Verkauf an Privatkunden aus anderen EU-Ländern: MWst des Land des Käufers
  • Verkauf an Firmen mit UID aus anderen EU-Ländern: ohne MWSt. (Reverse Charge)
  • Verkauf außerhalb der EU: nationale MWSt.

Wo ist das Problem?

Für große Anbieter wie Amazon sind die Probleme überschaubar. Die Abrechnung wird natürlich etwas komplizierter, ist aber mit der Infrastruktur einer großen Firma sicher in der Griff zu bekommen, zumal ähnliche Regeln schon bisher für physische Produkte (also nicht elektronische Dienstleistungen) galten.

Für kleine Unternehmer besteht das erste Problem aber bereits darin, die Rechnung korrekt auszustellen. Wissen Sie, welcher MWst-Satz für eBooks in Litauen gilt? Eben, ich weiß es auch nicht. (Die Antwort steht in diesem 25-seitigen PDF-Dokument, Stand Juli 2014.)

Wenn sich ein deutsch sprechender Kunde aus Litauen auf https://kofler.info verirrt und dort ab 1.1.2015 ein eBook bestellt, muss ich eine Rechnung mit dem litauischen MWSt-Satz ausstellen. Und analog eben für alle anderen Länder der EU.

Damit aber nicht genug: Nicht nur, dass ich in Zukunft für Litauen und alle anderen EU-Mitgliedsländer die Mehrwertsteuer einheben soll, ich muss sie vierteljährlich auch dorthin überweisen. Dabei hilft mir dankenswerterweise das nationale Finanzamt. Das neue Gesetz sieht nämlich den Mini-One-Stop-Shop mit der schönen Abkürzung MOSS vor. Ich muss also nur vierteljährlich eine Erklärung abgeben, wie viel MWst ich für welches Land eingehoben habe. Dann überweise ich alles an das nationale Finanzamt (bei mir an das österreichische) und dieses verteilt das Geld dann weiter. Ist ja immerhin erfreulich, dass ich nicht direkt mit dem litauischen Finanzamt kommunzieren muss, oder?

Ich denke, sie verstehen, wo die Pointe ist: Wie groß müssen meine Einnahmen als kleiner eBook-Anbieter sein, damit sich der hier skizzierte administrative Aufwand lohnt? Und vor diesem Problem stehe natürlich nicht nur ich, ganz ähnlich geht es vielen kleinen europäischen Unternehmern (neudeutsch Startups), die primär Privat- und nicht Firmenkunden haben.

Wem nützen die neuen Bestimmungen?

Vordergründig schafft das Gesetz Chancengleichheit zwischen internationalen Anbietern (Amazon, Apple, Google) und nationalen Firmen im gleichen Geschäftsfeld.

Aufgrund des oben skizzierten logistischen Aufwands bevorzugen die neuen Bestimmungen aber große Unternehmen im Vergleich zu kleinen. Und das kommt dann gerade wieder Amazon & Co. zugute.

Welche europäischen eBook-Anbieter kennen Sie? Keine? Nun ja, es gibt durchaus welche, z.B. http://ciando.com oder das Firmenkonglomerat hinter dem Reader http://www.tolino.de, das unter anderem aus Thalia, Weltbild, Hugendubel und Club Bertelsmann sowie der Deutschen Telekom AG besteht. Aber wer sich für Self-Publishing interessiert, ist dort (momentan) definitiv an der falschen Adresse.

Wer beschließt so einen Unsinn?

Eigentlich ist mein Blog technisch ausgerichtet, und ich versuche den politischen Themen aus dem Weg zu gehen. Aber mitunter ist eine Trennung zwischen Technik und Politik schwer möglich.

Wer beschließt also derartig idiotische Gesetze? Eigentlich gibt es nur zwei Antworten:

  • Abgeordnete, die selbst überhaupt keine Ahnung davon haben, wofür/wogegen sie stimmen

  • Abgeordnete, die von Parteien und Lobbying-Organisationen in eine bestimmte Richtung geschoben werden

Pest oder Cholera also, was ist Ihnen sympathischer?

Dabei wäre es ja wirklich nicht schwierig, eine Lösung zu finden, die nicht gleich alle EU-Miniunternehmer ins Verderben reißt, wenn diese elektronische Dienstleistungen anbieten. Wie wäre es, wenn man eine Umsatzgrenze von 50.000 oder 100.000 Euro für elektronische Dienstleistungen definiert? Wer darunter bleibt, rechnet wie bisher unkompliziert nach nationalen Steuerrecht ab. Wer mehr Umsatz macht, dem kann man auch den Aufwand zumuten, den Verkaufsprozess, die Buchhaltung etc. entsprechend anzupassen.

Noch eleganter wäre es ja, wenn man das EU-Steuerrecht harmonisieren würde. Warum kein einheitlicher MWSt-Satz in allen EU-Mitgliedsländern? Natürlich, weil da viel zu viel nationale Interessen dagegen sprechen. Also reguliert die EU lieber Gurken, Energiesparlampen, Staubsauger und nun eben auch eBooks.

Was bedeutet das für eBooks, die via Amazon verkauft werden?

Amazon muss nun den jeweils nationalen Steuersatz des Kunden verrechnen. Für Privatkunden werden die eBooks damit teurer, es sei denn, der Anbieter reduziert den Preis entsprechend, um den Unterschied so aufzufangen. Also:

  • entweder verdienen Amazon und die Autoren in Zukunft weniger (und der Staat mehr)
  • oder eBooks werden teuerer

Wie geht es mit ebooks.kofler weiter?

Ich weiß es noch nicht. Ich sehe zwei Varianten:

  • Kein direkter Verkauf mehr (oder Verkauf nur für österr. Kunden): Das ist die Kapitulations-Variante. Meine eBooks wären dann eben nur noch bei Amazon oder Apple erhältlich. Das entspricht in etwa der Halbierung meines eBooks-Umsatzes und würde das Ende meiner eBooks im PDF-Format bedeuten.

  • Verkauf nur an wenige Länder (D, A, CH): Sicher ist, dass ich es logistisch nicht schaffe, meine eBooks EU-weit zu verkaufen. Aber es sollte mir wohl gelingen, die Sonderfälle für zwei, drei Länder abzudecken. (Selbst das ist komplizierter, als Sie vermutlich denken. Beispielsweise gibt PayPal keine Möglichkeit, die Transaktionen auf bestimmte Länder einzugrenzen.) Da meine eBooks ohnedies in deutscher Sprache verfasst sind, wird das den Umsatz nicht maßgeblich mindern. Die wenigen ebooks.kofler-Käufer, die mein eBooks bisher aus Italien, Frankreich, Schweden etc. gekauft haben, müssen dann aber in Zukunft mit der hässlichen MOBI-Formatierung von Amazon vorliebnehmen.

Vielleicht entwickeln sich aus dem ganzen Zirkus ja auch neue Möglichkeiten. Denkbar wäre z.B. ein europäisch agierender eBook-Vertreiber, der den Wünschen und Anforderungen kleiner Anbieter entgegenkommt und gleichzeitig faire Konditionen anbietet. (Ich kenne keinen. Man kann über Amazon schimpfen wie man will, aber letztlich ist das Kindle-Publishing-Angebot extrem attraktiv für Autoren.) Ich wäre durchaus nicht traurig, wenn ich den eigentlichen Verkauf meiner eBooks delegieren und mich auf das Schreiben konzentrieren könnte.

Update 5.1.2015: Ich habe mein Bestellsystem dahingehend optimiert, dass es konform zur EU-Gesetzgebung ist. Allerdings kann ich nur folgende Bestellungen akzeptieren:

  • aus Österreich, Deutschland, Frankreich, Italien und der Schweiz
  • Firmen-Bestellungen aus allen EU-Länder (setzt gültige UID voraus)
  • aus allen Nicht-EU-Ländern

Wenn Sie in einem EU-Land wohnen, das nicht unterstützt wird, können Sie das eBook eventuell via amazon oder im iBook-Store von Apple erwerben.

Links

In englischer Sprache:

2 Gedanken zu „EU versus eBooks: Alle Macht den Großen“

  1. Lieber Herr Kofler!

    Ich ein begeisterter Nutzer Ihrer Werke, würde diese aber niemals via Amazon erwerben. Alle, die von den „Früchten“ ihrer Arbeit leben wollen und nicht einfach nur Handel mit den „Früchten“ anderer treiben, schießen sich langfristig die eigene Produktion zusammen. Ist für die Produzierenden sicher schwerer als für die Konsumierenden, die müssen sich eben ihren Local Book Shop suchen. Think global, act local!

  2. Also diesem Beitrag kann ich nur vollinhaltlich zustimmen, würde die Bedenken aber auf das Reverse-Charge-System ausweiten.
    Durch eine Veröffentlichung in der Anthologie eines deutschen Verlages bin ich erst dahinter gekommen, dass ich sogar als Kleinstunternehmerin eine UID-Nummer brauche, damit ich alles gesetzeskonform, also mit Hinweis auf Reverse Charge in der Rechnung und zusammenfassender Meldung beim Finanzamt, abwickeln kann – und das für schätzungsweise nicht mehr als 20 € im Jahr! In Deutschland sind KleinunternehmerInnen nicht zur Abgabe einer zusammenfassenden Meldung verpflichtet, in Österreich schon. Wo bleibt da die anvisierte Gleichbehandlung in Europa?
    Ich bin gerade in der Phase, in der ich überlege, ob ich mich als Self-Publisherin versuchen soll. Mittlerweile glaube ich, dass es den Aufwand nicht lohnt. In Österreich gibt es ja keine selfpublishing-Plattform… jedenfalls kenne ich keine.

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