Ubuntu Pro

Bereits seit einigen Jahren bietet Canonical »Ubuntu Pro« an. Anfänglich war Ubuntu Pro auf AWS-Kunden beschränkt, denen Ubuntu Pro Updates über einen Zeitraum von 10 Jahren garantiert (statt der üblichen fünf Jahre für Ubuntu LTS). Später wurde Ubuntu Pro auf andere Clound-Anbieter ausgedehnt, und seit ein paar Wochen ist Ubuntu Pro als kostenpflichtiges Update-Service auch für »gewöhnliche« Installationen verfügbar. Privat- bzw. Kleinanwender dürfen Ubuntu Pro für fünf Installationen kostenlos nutzen.

Canonical bewirbt Ubuntu Pro beim Login sowie bei der Ausführung des apt-Kommandos. Das hat zu Unmut bei manchen Benutzern geführt. Ich kann das nicht ganz nachvollziehen. Es wird ja niemand gezwungen, Ubuntu Pro zu verwenden. Für manche Anwender bzw. Server-Administratoren ist die 10-jährige Update-Garantie durchaus ein attraktives Angebot. In diesem Beitrag versuche ich das Angebot im Kontext anderer Distributionen (Red Hat Enterprise, kostenlose Klone) einzuordnen.

Update 19.4.2023: Canonical erlaubt im Rahmen von Ubuntu Pro zwar die kostenlose Verwendung der Kernel-Livepatches, allerdings erhalten Sie dann Patches früher als zahlende Kunden. Sie sind quasi ein Beta-Tester für die Kernel-Patches. Wenn keine Probleme auftreten, werden die gleichen Patches mit einer gewissen Verzögerung auch an zahlende Kunden ausgeliefert.

Varianten

Ubuntu Pro gibt es aktuell in vier Ausprägungen:

  • Cloud: Die Cloud-Anbieter AWS, Azure und Google bieten virtuelle Maschinen (Cloud-Instanzen) mit Ubuntu Pro an. Die monatliche Gebühr ist höher als bei Ubuntu-LTS-Instanzen, dafür beträgt der Update-Zeitraum zehn statt fünf Jahre. Über diese Form des Ubuntu-Pro-Angebots habe ich schon vor Jahren in meinem Blog geschrieben.

  • Physische Desktop/Workstation-Installation: 25 $ / Jahr, 10 Jahre Updates für die Paketquellen main und universe

  • Physische Server-Installation, »Infra-only«: 225 $ / Jahr, 10 Jahre Updates nur für die main-Paketquelle. Das Angebot richtet sich insbesondere an Server, die als Virtualisierungs-Host verwendet werden.

  • Physische Server-Installation: 500 $ / Jahr, 10 Jahre Updates für die Paketquellen main und universe

Alle vier Angebote umfassen auch Live Kernel Patches, die bisher als eigenes Produkt verkauft wurden. Zu diesen Grundangeboten gibt es diverse Support-Erweiterungen, die die Sache natürlich teurer machen:

https://ubuntu.com/pricing/pro

Technische Details

Die technische Voraussetzung für Ubuntu Pro ist das Kommando pro, das sich im Paket ubuntu-advantage-tools befindet. Es sollte standardmäßig installiert sein. pro security-status gibt einen Überblick über die installierten Pakete (hier auf einem Server mit Ubuntu 20.04 OHNE Ubuntu Pro).

$ pro security-status

1090 packages installed:
     854 packages from Ubuntu Main/Restricted repository
     228 packages from Ubuntu Universe/Multiverse repository
     3 packages from third parties
     5 packages no longer available for download

To get more information about the packages, run
    pro security-status --help
for a list of available options.

This machine is receiving security patching for Ubuntu Main/Restricted
repository until 2025.
This machine is NOT attached to an Ubuntu Pro subscription.

Ubuntu Pro with 'esm-infra' enabled provides security updates for
Main/Restricted packages until 2030.

Ubuntu Pro with 'esm-apps' enabled provides security updates for
Universe/Multiverse packages until 2030 and has 19 pending security updates.

Die Ausgabe macht auch gleich Werbung für den Abschluss eines Ubuntu-Pro-Upgrades und verspricht Updates für 19 Universe-Pakete, zu denen es ohne Ubuntu Pro eben keinen Schutz gibt. Welche Pakete das sind, können Sie mit pro security-status --esm-apps herausfinden (siehe den folgenden Screenshot).

Ubuntu Pro verspricht Sicherheits-Updates für die fett hervorgehobenen universe-Pakete

Wenn Sie dieser Wink mit dem Zaunpfahl überzeugt, entschließen Sie sich dazu, Ubuntu Pro auszuprobieren. Dazu brauchen Sie ein Konto bei Ubuntu One. Damit können Sie sich beim Ubuntu Pro Dashboard anmelden. Dort erhalten Sie fünf kostenlose Tokens für Ubuntu Pro. Wenn Sie mehr brauchen, müssen Sie dafür bezahlen.

Das Ubuntu-Pro-Dashboard

Die Aktivierung von Ubuntu Pro für eine Ubuntu-Installation ist denkbar einfach. Sie führen pro attach <token> aus, fertig!

$ sudo pro attach <token>

Enabling default service esm-apps
Updating package lists
Ubuntu Pro: ESM Apps enabled
Enabling default service esm-infra
Updating package lists
Ubuntu Pro: ESM Infra enabled
Enabling default service livepatch
Installing snapd
Updating package lists
Installing canonical-livepatch snap
Canonical livepatch enabled.
Unable to determine current instance-id
This machine is now attached to 'Ubuntu Pro - free personal subscription'

SERVICE          ENTITLED  STATUS    DESCRIPTION
esm-apps         yes       enabled   Expanded Security Maintenance for Applications
esm-infra        yes       enabled   Expanded Security Maintenance for Infrastructure
fips             yes       disabled  NIST-certified core packages
fips-updates     yes       disabled  NIST-certified core packages with priority security updates
livepatch        yes       enabled   Canonical Livepatch service
usg              yes       disabled  Security compliance and audit tools

NOTICES
Operation in progress: pro attach

Enable services with: pro enable <service>

     Account: <account-name>
Subscription: Ubuntu Pro - free personal subscription

Anschließend können Sie mit apt full-upgrade alle Pakete aktualisieren. Dabei kommen nun die Ubuntu-Pro-Paketquellen zum Einsatz:

$ sudo apt full-upgrade

Paketlisten werden gelesen... Fertig
Abhängigkeitsbaum wird aufgebaut.       
Statusinformationen werden eingelesen.... Fertig
Paketaktualisierung (Upgrade) wird berechnet... Fertig
Die folgenden NEUEN Pakete werden installiert:
  python3-defusedxml
Die folgenden Pakete werden aktualisiert (Upgrade):
  ant ant-optional composer fail2ban glances libjs-jquery-ui libopenexr24 libpython2.7
  libpython2.7-minimal libpython2.7-stdlib lynx lynx-common ntpdate php-symfony-console
  php-symfony-filesystem php-symfony-finder php-symfony-process python2.7 python2.7-minimal
19 aktualisiert, 1 neu installiert, 0 zu entfernen und 0 nicht aktualisiert.
19 esm-apps security updates
Möchten Sie fortfahren? [J/n] y
...

Hinter den Kulissen hat pro attach zwei neue Paketquellen eingerichtet:

$ ls /etc/apt/sources.list.d/ubuntu-esm*

/etc/apt/sources.list.d/ubuntu-esm-apps.list  
/etc/apt/sources.list.d/ubuntu-esm-infra.list

Außerdem hat pro attach die Kernel-Live-Patch-Funktion aktiviert. Beachten Sie, dass dafür ein Snap-Paket verantwortlich ist. Snap ist also eine zwingende Voraussetzung für diese Funktion. Den Status können Sie so überprüfen:

$ sudo canonical-livepatch status

last check: 6 minutes ago
kernel: 5.4.0-139.156-generic
server check-in: succeeded
patch state: ✓ no livepatches needed for this kernel yet
tier: updates (Free usage; This machine beta tests new patches.)
machine id: <id>

Im Prinzip war’s das. Ubuntu Pro läuft jetzt selbstständig, Sie müssen sich nur noch darum kümmern, regelmäßig Updates zu installieren. pro security-status verspricht jetzt Updates bis 2030 :-)

$ pro security-status

1093 packages installed:
     857 packages from Ubuntu Main/Restricted repository
     228 packages from Ubuntu Universe/Multiverse repository
     3 packages from third parties
     5 packages no longer available for download

To get more information about the packages, run
    pro security-status --help
for a list of available options.

This machine is attached to an Ubuntu Pro subscription.

Main/Restricted packages are receiving security updates from
Ubuntu Pro with 'esm-infra' enabled until 2030.

Universe/Multiverse packages are receiving security updates from
Ubuntu Pro with 'esm-apps' enabled until 2030. You have received 19 security
updates.

Ich habe das kostenlose Angebot von Ubuntu Pro aktuell auf zwei Server laufen, bisher ohne irgendwelche Probleme. Langzeiterfahrungen kann ich allerdings noch keine bieten, dafür ist das Angebot zu jung.

Kernel-Patches: »Free usage; This machine beta tests new patches.«

Ein Leser dieses Beitrags hat mich auf eine Ergebniszeile von sudo canonical-livepatch status hingewiesen:

tier: updates (Free usage; This machine beta tests new patches.)

Es ist offensichtlich so, dass für zahlende Kunden tier: stable gilt, während an nicht zahlende Kunden Kernel-Updates aus tier: updates verteilt werden. Mit anderen Worten: Wenn Sie Kernel-Patches aktivieren, ohne dafür zu zahlen, sind Sie quasi ein Beta-Tester für die zahlenden Kunden. Wenn keine Probleme auftreten, erhalten zahlende Kunden etwas später die gleichen Updates. (Ein ähnliches Schema gilt übrigens für CentOS Stream, dort für alle Update-Pakete.)

An sich ist diese Vorgehensweise nachvollziehbar. Sie hat bei mir bisher auch keine Probleme verursacht. ABER: Die Informationspolitik von Canonical ist diesbezüglich extrem intransparent. Obwohl ich eine Weile danach gesucht habe, bin ich auf kein offizielles Dokument gestoßen, dass auf diesen Umstand deutlich hinweist oder die Hintergründe erklärt. Ein paar Lese-Tipps:

Bewertung

Das Ubuntu-Pro-Versprechen ist zweiteilig:

  • Einerseits garantiert Ubuntu Pro Sicherheits-Updates für zehn Jahre statt für fünf. Der Nutzen ist leicht zu begründen. Aus der Sicht von Canonical ist das Problem aber, dass viele Admins Ihrer Server ohnedies nicht so lange laufen lassen — oder nur wenig länger. Also macht es wirtschaftlich Sinn, die ersten fünf Jahre die kostenlosen LTS-Updates zu genießen und erst für die Folgejahre Ubuntu Pro zu zahlen. Aus Anwendersicht kosteneffizient, aber für Canonical ein schlechtes Geschäftsmodell.

  • Andererseits verspricht Ubuntu Pro recht vollmundig auch Updates für die ca. 23.000 Universe-Pakete. Mit diesem Argument versucht Canonical seine Kunden davon zu überzeugen, Ubuntu Pro auch in den ersten Jahre zu bezahlen. Ubuntu Pro hat also einen Zusatznutzen, weil Canonical den Support für die universe-Paketquelle übernimmt; bisher kümmerte sich nur die etwas diffuse »Community« darum.

Ich bin allerdings sehr skeptisch, wie weit das universe-Update-Versprechen reicht. Auf https://ubuntu.com/pricing/pro steht wörtlich: »Support for over 23,000 packages in the Ubuntu Universe repository«. Aber was heißt das? Ich habe nirgendwo das Kleingedruckte gefunden, das eine Abgrenzung vornimmt, für welche Pakete das Versprechen gilt, wie groß das Sicherheitsproblem ist, damit sich Canonical um die Behebung kümmert etc.

Ein Punkt ist klar: Selbst wenn Canonical hoch motiviert ist und ein riesiges Budget für ein großes Security- und Maintenance-Team aufbringt — 23.000 Pakete parallel für fünf LTS-Releases zu warten ist schlicht unmöglich. (Aktuell gibt es nur universe-Updates für die Versionen 18.04, 20.04 und 22.04, weil die universe-Wartungszusage für ältere Releases nicht gilt; aber in drei Jahren müssten die universe-Quellen für Ubuntu 18.04, 20.04, 22.04, 24.04 und 26.04 gleichzeitig gewartet werden! Das sind dann über 100.000 Pakete von Programmen und Bibliotheken in unterschiedlichen Versionen. Man könnte jetzt weiter rechnen, wie viele Zeilen Code das sind, mit wie vielen Maintainer Kontakt gepflegt wird etc.)

Red Hat (IBM) verspricht RHEL-Updates für ein viel kleineres Paketangebot und für weniger Releases zugleich (weil RHEL-Major-Versionen in der Regel drei bis vier Jahre auseinander liegen) — aus gutem Grund! Die restlichen Pakete befinden sich in der EPEL-Paketquelle oder anderen externen Paketquellen, dafür übernimmt Red Hat keine Verantwortung.

Es fällt schwer zu glauben, dass Canonical ein Kunststück gelingt, das Red Hat (mit sicher mehr Einnahmen) nicht einmal anstrebt.

Wartungszeitraum verschiedener Server-Distributionen

Bei aller Kritik: Ubuntu Pro ist ein attraktives Angebot. Es erlaubt den Einsatz von Ubuntu gerade im Server-Bereich für längere Zeiträume als bisher, zu vertretbaren Kosten (und für fünf Server sogar kostenlos, extrem fair!). Ein kurzer Vergleich zu anderern Distributionen:

  • Red Hat Enterprise Linux: 10 Jahre (mit Einschränkungen sogar 13 Jahre), kostenpflichtig
  • RHEL-Klone (Rocky, AlmaLinux etc.): 10 Jahre, kostenlos, aber ohne Garantien
  • SUSE Linux Enterprise: 10 Jahre (mit Einschränkungen sogar 13 Jahre), kostenpflichtig
  • Ubuntu LTS: 5 Jahre kostenlos
  • Ubuntu Pro: 10 Jahre kostenpflichtig (wobei es möglich ist, Ubuntu LTS die ersten fünf Jahre kostenfrei zu nutzen und erst dann auf Ubuntu Pro umzusteigen)

Ich bin gespannt, in welchem Ausmaß Canonical liefern kann, was es aktuell verspricht. Und wie viele zahlende Ubuntu-Pro-Kunden Canonical finden kann. Für das Linux-Universum wäre es auf jeden Fall gut, wenn Canonical erfolgreich ist. Je mehr Firmen es gibt, die mit Linux Geld verdienen, desto besser ist das für alle Linux-Anwender, zahlende wie nicht zahlende!

Links/Quellen

Ältere Blog-Artikel auf kofler.info zu diesem Thema:

Kernel Live Patches: updates=beta tier versus stable tier:

2 Gedanken zu „Ubuntu Pro“

  1. Mir macht eher das hier Sorgen: (canonical-livepatch status):
    „Free usage; This machine beta tests new patches“

    Beta?! Was bedeutet das genau? Ich kann dazu nichts Konkretes finden.

    1. In der Tat. Ich habe diese Zeile zu wenig beachtet. Mittlerweile habe ich recht intensiv gesucht, aber ebenfalls wenig klare Informationen gefunden. Canonical verwendet ganz offensichtlich nicht zahlende Kunden als Beta-Tester für die Kernel-Patches. Das wäre an sich OK, wenn das transparent kommuniziert würde. Das ist aber nicht der Fall. Ich habe meinen Beitrag diesbezüglich aktualisiert. Vielen Dank für den Hinweis.

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