Mit Ubuntu 21.10 »Impish Indri« hat Canonical das letzte Release vor der nächsten LTS-Version 22.04 fertiggestellt. Die wichtigsten Neuerungen lassen sich in zwei Punkten zusammenfassen: Ubuntu hat den Sprung auf Gnome 40 vollzogen (wenn auch nicht auf die aktuelle Version 41), und Firefox steht standardmäßig als Snap-Paket zur Verfügung. Das neue Installationsprogramm, an dem Canonical zur Zeit arbeitet, war noch nicht so weit gediehen, dass es für Version 21.10 zum Einsatz kommen konnte.
Firefox und Snap
Leser meines Blogs wissen, dass ich kein ausgesprochener Fan der neuen Paketformate Snap und Flatpak bin. Ich verstehe natürlich den Nutzen distributions- und versionsunabhängiger Pakete, bin aber der Meinung, dass die Nachteile aufgrund des riesigen Overheads überwiegen. Unter Ubuntu 21.10 sind außer diversen Basispaketen nur der Paketmanager snap-store
(das ist Canonicals Variante zu Gnome Software) sowie Firefox installiert:
snap list
Name Version Revision Tracking Herausgeber Hinweise
bare 1.0 5 latest/stable canonical✓ base
core 16-2.51.7 11743 latest/stable canonical✓ core
core20 20210928 1169 latest/stable canonical✓ base
firefox 93.0-1 631 latest/stable/… mozilla✓ -
gnome-3-38-2004 0+git.6ba6040 76 latest/stable/… canonical✓ -
gtk-common-themes 0.1-59-g7bca6ae 1519 latest/stable/… canonical✓ -
snap-store 3.38.0-66-gbd5b8f7 557 latest/stable/… canonical✓ -
Der Platzbedarf für diese Pakete beträgt 674 MByte:
ls -lh /var/lib/snapd/snaps/
insgesamt 674M
-rw------- 1 root root 4.0K Oct 10 09:58 bare_5.snap
-rw------- 1 root root 100M Oct 10 09:58 core_11743.snap
-rw------- 1 root root 62M Oct 10 09:57 core20_1169.snap
-rw------- 1 root root 151M Oct 10 09:57 firefox_631.snap
-rw------- 1 root root 243M Oct 10 09:58 gnome-3-38-2004_76.snap
-rw------- 1 root root 66M Oct 10 09:58 gtk-common-themes_1519.snap
-rw------- 1 root root 55M Oct 10 09:58 snap-store_557.snap
Der Vorteil des Firefox-Snap-Pakets besteht darin, dass Canonical dieses Paket in Zukunft für sämtliche Versionen von Ubuntu warten kann. Ein nicht unerheblicher Nachteil besteht darin, dass der erste Start von Firefox Snap-bedingt spürbar langsamer als bisher erfolgt. (Ab dem zweiten Start ist der Unterschied kaum mehr wahrnehmbar.)
Das nächste Ärgernis ist die Verwaltung der Gnome Shell Extensions: Obwohl chrome-gnome-shell
in Ubuntu standardmäßig installiert ist und ich auch die Firefox-Erweiterung Gnome Shell-Integration beim ersten Besuch von https://extensions.gnome.org/ installiert habe, kann Firefox die Extensions nicht verwalten. Meine Vermutung ist, dass das Paket chrome-gnome-shell
im Ubuntu-Dateisystem für Firefox unzugänglich ist, weil dieser — Snap sei dank — ja quasi in seinem eigenen Betriebssystem läuft.
Ich bin der Sache nicht auf den Grund gegangen, weil es eine bequeme Alternative gibt: Ich habe Google Chrome installiert. Das Programm gibt es von Google als »richtiges« Paket samt eigener Paketquelle. (Es gibt in den offiziellen Ubuntu-Paketquellen übrigens noch immer ein DEB-Paket für Firefox. Dieses Paket soll aber in Version 22.04 verschwinden.)
Insgesamt stellt sich die Frage, ob Canonical mit der Snap-Entscheidung Firefox unter Ubuntu nicht endgültig den Todesstoß versetzt. Ein wenig gewinnt man in den letzten Jahren den Eindruck, Firefox entwickelt sich zu einem Programm für Idealisten.
Gnome 40
Über Gnome 40 habe ich schon genug geschrieben. Den aus meiner Sicht größte Mangel — das horizontale Dock — hat Canonical mit dem vorinstallierten Ubuntu Dock behoben. Dabei handelt es sich um eine Variante zu Dash to Dock (siehe auch Gnome 40 mit einem vertikalen Dock). Über das merkwürdige Aussehen des Papierkorb-Icons, das im Dock angezeigt wird, kann man streiten, aber davon abgesehen funktionieren sowohl Gnome 40 als auch das Dock wunderbar.
In den Systemeinstellungen kann zwischen einem hellen und einem dunklen Erscheinungsbild ausgewählt werden. Hier können Sie auch die Icon-Größe im Dock sowie dessen Position einstellen.
Versionen
Basis Desktop Programmierung Server
--------------- ------------------ -------------- --------------
Kernel 5.13 Gnome 40 bash 5.1 Apache 2.4
glibc 2.34 Firefox 93 docker 20.10 CUPS 2.3
X-Server 1.20 Gimp 2.10 gcc 11.2 MySQL 8.0
Wayland 1.19 LibreOffice 7.2 Java 11 OpenSSH 8.4
Mesa 21.2 Thunderbird 91 PHP 8.0 qemu/KVM 6.0
Systemd 248 Python 3.9 Postfix 3.5
NetworkMan 1.32 Samba 4.13
GRUB 2.04
Als Default-Java-Version gilt 11. Zur Auswahl stehen aber auch Java 16, 17 und sogar schon eine erste Testversion von Java 18. Der Umstieg auf PHP 8.0 ist willkommen; schade ist, dass Python 3.10 den Sprung in Ubuntu 21.10 nicht geschafft hat. (Zugegebenermaßen ist das Release gerade einmal vor 10 Tagen.)
Anmerkung
Für diesen Test habe ich Ubuntu 21.10 ausschließlich in einer virtuellen Maschine getestet. Grundsätzlich hat dabei alles wunschgemäß funktioniert. Einzig das Zusammenspiel mit Wayland hat Probleme verursacht (fallweise schwarzer Bildschirm, in Firefox kein Bild etc.). Ein neuerlicher Login mit X statt Wayland war die Lösung. Ob an den Problemen Wayland oder mein Virtualisierungssystem (KVM/QEMU) Schuld war, kann ich nicht sagen. Ähnliche Probleme hatte ich aber auch schon mit anderen Distributionen. Die Lösung hießt immer X.
Ich habe vor, mein Arbeits-Notebook nächste Woche auf Version 21.10 zu aktualisieren. Falls sich dabei neue Erkenntnisse ergeben (das ist anzunehmen), werde ich diesen Artikel noch einmal aktualisieren. Insbesondere möchte ich testen, wie gut Wayland mit den proprietären NVIDIA-Treibern harmoniert. (Die aktuelle Version der NVIDIA-Treiber ist erstmalig Wayland-kompatibel, aber zumindest laut Fedora-Berichten ist die Sache noch nicht richtig stabil.)
Praktische Erfahrungen (Update 4.11.2021)
Mittlerweile habe ich mein Notebook mit do-release-upgrade
aktualisiert. Prinzipiell funktioniert das meiste. Anmerkungen:
- Firefox (Snap) lässt sich bei mir nicht starten, weil ich — zugegebenermaßen non standard — eine eigene verschlüsselte Partition verwende, in dem sich mein Home-Verzeichnis befindet (daher der Pfad
/crypt/home/kofler
). Snap ist damit schon seit vielen Jahren überfordert (siehe hier). Diese Einschränkung lässt sich zur Not mit bind-Mounts umgehen. Wenig kundenfreundlich ist der Umstand, dass beim Start von Firefox auf dem Desktop nicht einmal eine Fehlermeldung erscheint. Klarheit schafft erst ein Start in einem Terminal. Na ja, für mich heißt die Lösungsudo snap remove firefox
. -
do-release-upgrade
deaktiviert alle nicht-offiziellen Paketquellen. Dieses Verhalten ist zwar nicht neu, die manuelle Reaktivierung wird aber bei immer mehr eigenen Paketquellen für Chrome, Syncthing, Teams, VSCode usw. zunehmend mühsam. -
Die neue Gnome-Version (na ja, so neu ist Version 40 gar nicht …) ist, wie üblich, zu einigen der von mir genutzten Shell Extensions inkompatibel. Das ist nicht immer ernst zu nehmen. In zwei Fällen hat es gereicht, in die Datei
.local/share/gnome-shell/extensions/<extension-name>/metadata.json
einfach eine neue Versionsnummer hinzuzufügen, also z.B."40.0"
. -
Die automatische Monitorabschaltung nach ein paar Minuten ohne Aktivität funktioniert nur noch sporadisch. Wenn ich den Rechner explizit in den Ruhemodus befördere, funktioniert aber alles, wie es soll (inklusive des Wiederaufwachens).
Fazit
Ich habe in den letzten Jahren Ubuntu als Standarddistribution auf meinem wichtigsten Arbeitsrechner verwendet (einem Lenovo-Notebook). Ja, ich habe mehr Rechner und noch viel mehr virtuelle Maschinen, auf denen ein buntes Sammelsurium von Distributionen läuft. Aber grundsätzlich hat sich Ubuntu in den letzten Jahren für mich gut bewährt; es läuft stabil, ich hatte selten ernsthafte Probleme (auch nicht mit Versionen außerhalb des LTS-Zyklus), selbst Microsoft Teams läuft (das brauche ich gelegentlich beruflich) und bin eigentlich zufrieden mit dem, was ich habe. Ganz pragmatisch: Es hat durchaus Vorteile, mit dem Linux-Mainstream mitzuschwimmen.
Bei Snap endet meine Liebe zu Ubuntu aber. Bisher war mein Ansatz, Snap samt allen dort mitgelieferten Paketen einfach zu deinstallieren. Noch ist das möglich: Ich kann Firefox durch ein APT-Paket oder gleich durch Google Chrome ersetzen, und statt dem snap-store verwende ich sowieso apt
. Sollte ein Snap-freier Betrieb von Ubuntu irgendwann nicht mehr möglich sein, dann wird es mir sicher gelingen, mich mit einer anderen Linux-Distribution anzufreunden :-)
Eine Anmerkung zum distributionsunabhängigen Paketformat. Auf meinen Rechnern läuft seit Version 15.0 OpenSUSE Leap mit KDE. Die Programme, die nicht in den gängigen Paketquellen zu finden sind (Teams, Spotify, VSCodium, Element, usw.) installiere ich mit Flatpak. Das nimmt ein bissel Platz auf der Platte in Anspruch, funktioniert aber ausgezeichnet.
Tut mir leid, aber Snaps kommt mir derzeit nicht auf die Platte, dann schon lieber Flatpak, obwohl ich von Flatpak auch nicht gerade „begeistert“ bin. Software, die über Snaps installiert werden, sind riesengroß, bzw. extrem aufgebläht. Was soll der Quatsch? Aber nun gut, ich bin vor ca. 1 Jahr ohnehin auf Debian umgestiegen. Ubuntu interessiert mich eh nicht mehr. Ubuntu war mal so gut, heute nicht mehr.
Für mich ist die einzige echte Alternative zu Snap, Flatpak und Appimages immer noch das riesige Arch User Repository (AUR), wo man fast alles findet, was in den offiziellen Paketquellen nicht zu finden ist. Keine Angst vor Arch Linux! Die Installation mit Archwiki und der hier von Michael Kofler erstellten Anleitung ist relativ einfach, ein voll installiertes System mit jeder Menge Office- und Multimedia-Anwendungen von nicht mehr als 25 Gbyte kein Problem, und rolling release ist überhaupt nicht
instabil, wie immer wieder behauptet wird – insbesondere, wenn man den LTS-Kernel verwendet. Außerdem gibt es zahlreiche hervorragende Derivate wie Manjaro oder EndeavourOS. Also, Herr Kofler (und hoffentlich viele andere): Bitte freunden Sie sich doch mit Arch an :-)
Nö – ich bleibe bei Debian. ;-)
Auch gut, nutze ich seit Jahren regelmäßig für die Arbeit ;-)
„Insgesamt stellt sich die Frage, ob Canonical mit der Snap-Entscheidung Firefox unter Ubuntu nicht endgültig den Todesstoß versetzt. “
Meines wissens nach ist das auf eine Bitte von Mozzilla selbst geschehen. Mozzilla war der update mechanismus via package manager zu langsam, denn erst nachdem die Neue version von Monzzila veröffentlch worden ist, konnte damit gebonnen werden die Änderungen in Ubuntu ein zu pflegen. Das hat so im schnitt 1-2 Tage gedauert und das betrifft natürlich auch Sicherheitsupdates.
Das Snappaket wird von Mozzilla selbst erstellt und verteilt. Es kann somit syncron mit allen anderen Updates verteilt werden.
Ganz komisch finde ich: „Ich verstehe natürlich den Nutzen distributions- und versionsunabhängiger Pakete, bin aber der Meinung, dass die Nachteile aufgrund des riesigen Overheads überwiegen.“
Der Overhead ist glaube ich im jahr 2021 der schlechteste Angriffspunkt gegen snap/flatpak usw. Festplattenplatz ist nun wirklich kein Grund und in weiten Teilen ist das ein lösbares Problem. Deduplication via filesystem, base system….
Aber es gibt einen anderen entscheidenden Nachteil und der ist auch Sicherheit.
Bei Distributionspaketen, sind die Distributionen dafür verantwortlich diese Sicher zu halten. Bei snap/flatpak die Paket ersteller selbst. Oder anders formuliert mit Snaps und Flatpak holt man sich wahrscheinlich einen Haufen ungepatchter Libraries mit bekannten Sicherheitslücken in sein System. Ob der Sandbox reicht das wieder einzufangen muss jeder selbst wissen. Ich würde Mozzilla allerdings zutrauen sein Firefox-Snap sauber zu halten. Für alle Snaps/Flatpaks gilt das aber mit Sicherheit nicht.
Es ist also wie immer alles eine Frage der Abwägung.
Hallo Herr Kofler,
das mit dem Snap sehe ich auch so, daher wird snapd nach meinen Neuinstallation direkt gelöscht. Statt gleich auf Chrome zu wechseln, nutze ich derzeit das Mozilla-PPA https://launchpad.net/~ubuntu-mozilla-security/+archive/ubuntu/ppa .
Viele Grüße, M. Sprau
Sehr geehrter Herr Kofler,
danke für Ihren Beitrag. Ihr letzter Satz hat mich aufhorchen lassen: „mich mit einer anderen Linux-Distribution anzufreunden :-)“
Ich nutze seit zehn oder elf Jahren Ubuntu mit Gnome, Letzteres schätze ich sehr. Ich kenne mich zwar mittlerweile etwas aus, aber ein Distribution wie Arch Linux würde vielleicht eine Herausforderung für mich sein. Was für eine Distribution mit Gnome – Desktop könnten Sie denn mir empfehlen? (Büroanwendungen, Bildbearbeitung mit darktable und digiKam, cherrytree etc.)
Herzlichen Dank und Grüße
Peter Sch.
Ich arbeite beruflich die ganze Zeit mit allen möglichen Distributionen, von RHEL-Klones über Debian, Fedora usw. bis hin zu Arch. Alternativen gibt es also genug. Wenn Sie mit Ubuntu nicht mehr glücklich sind, aber vertraute Arbeitstechniken beibehalten wollen, ist Debian (letztlich das Fundament von Ubuntu) sicher die erste Wahl. Mint ist auch eine Option.